Astrologische Weltsicht

Daher haben auch jene stets Undank geerntet, die dem Menschen zur Selbsterkenntnis verhelfen, die ihm sein Wesen deuten wollten, während der Zulauf den Weissagern galt.“

– Ernst Jünger: „Meßbare und Schicksalszeit“


Astrologie ist – über jede vordergründige Nutzanwendung hinaus – ein System der Selbst- und Welt-Erkenntnis und befaßt sich entgegen landläufigen Vorurteilen nicht mit kausalen „Gestirns-Einflüssen“, sondern mit der Zeit und ihrer Ordnungssystematik, ihren Strukturen und Rhythmen sowie ihrem Verhältnis zur Erscheinungswelt – klärt also, was, wann, wie und wo geschieht. Zeit wird nicht wie in der Naturwissenschaft neutral und rein quantitativ vermessen, sondern auf ihre inhaltliche Qualität hin betrachtet und gedeutet.

Der Tierkreis beschreibt in seiner Bildersprache allgemeingültige Prinzipien des Daseins in ihrem Gestaltwandel, deren Strukturen und Entwicklungsmuster. Alle Dinge haben ihre Zeit der Erscheinung – und umgekehrt weist der Zeitpunkt des Erscheinens auf das dahinter liegende Prinzip, das sich in ihm manifestiert. Horoskope lassen sich daher auf jedes beliebige Phänomen erstellen, um es inhaltlich zu deuten – sei es ein Vorgang, eine Person oder eine allgemeines Zeitgeschehen.


Das Horoskop selbst bildet dabei eine Art symbolischen Struktur- und Zeitplan, einen Modellrahmen, an dem sich angelegte Wirklichkeit und deren Entwicklungen ablesen lassen, vergleichbar einer Uhr mit einem sehr differenzierten Ziffernblatt.

In zwölf Stadien – von Widder bis Fische wie auch in der umgekehrten Richtung – spiegeln sich diese Strukturen und Verlaufsformen der Zeit wider: Jedes Zeichen steht für ein Grund-Prinzip des Daseins, das in organischer Folge einer Entwicklungsreihe steht, so wie etwa eine Pflanze in ihrem Werdegang von der Keimung übers Wachsen und Fruchttragen bis zum Vergehen immer ganz bestimmte, artgemäße Entwicklungsphasen durchläuft.

Im Uhrzeigersinn – von den Fischen bis zur Waage – zeigt sich der Wandel der angelegten Gestalt, im gegenläufigen von Widder bis Jungfrau die parallele Entwicklung in der Erscheinungswelt, in Zeit und Raum.

Zeit (ahd. Zit, indogermanisch „dai“ oder Niederdeutsch „Tieden„, also Gezeiten) bedeutet „Teilung“.

D.h. seit „Anbeginn der Zeit“ teilt sich das noch Ungeteilte des Zeichens Fische und führt die Urqualitäten der Welt in einem immerwährenden Schöpfungsprozess des Wassermanns ihrer Bestimmung im Steinbock zu – fügt sie über den Schützen in die Zeit, verleiht ihnen eine Struktur und entlässt sie nach einem im Skorpion angelegten Zeitmuster in die jeweilige Gegenwart der Waage.

Diese immateriellen Wirkprinzipien der Gestalt bekommen im Widder ihre physische Energie, die sich im Stier zu konkreten Formen und Figurationen verdichtet – entsprechend ihrer angelegten Gestalt – und im Zwilling zur Ausübung im Raum kommt. Im Krebs entsteht das Leben, das im Löwen die Gestalt vollzieht und zum Geschehen macht, wobei sie in der Jungfrau ihre Mechanismen zur Anpassung in der Veränderlichkeit der Bedingungen findet.

Diese Stadien der Weltwerdung finden sich in den alten Schöpfungsmythen – in denen es heißt: „Am Anfang war das Chaos (Fische/Neptun und Widder/Mars), dann teilten sich Himmel (Wassermann/Uranus) und Erde (Stier/Venus).

Picture: From ‚The Children’s Encyclopedia‘ published by Arthur Mee (21 July 1875 – 27 May 1943)
Date and Artist unknown.

Der obere Weg des Mythos von den Fischen bis zur Waage beschreibt den Weg der Gestalt, der untere von Widder bis Jungfrau den der Erscheinung, mithin des Logos.

Seit der Neuzeit – speziell der Zwillings-Epoche von etwa 1367 – 1967 – ist mit der allgemeinen Ausmessung und der Eroberung der äußeren Welt, der Entwicklung des Subjekts und dessen perspektivischer Weltsicht, der sogenannten Aufklärung und naturwissenschaftlichen Methodik, die sich auf den Intellekt stützt und das Phänomen zum Gegenstand hat, also bereits Erwirktes, nicht Bewirkendes, der Logos dominant. Die rückwärtige Aufarbeitung und Korrektur wird die Epoche der nächsten 600 Jahre bis ins 26. Jahrhundert andauern.

Die Astrologie ist zur Zeit die vielleicht einzig verbliebene Disziplin, die Mythos und Logos miteinander in Beziehung setzt und dem Menschen die Möglichkeit gibt, aus dem eigenen Empfinden heraus seinen Ursprung wiederzufinden und in sein eigenes Leben und Dasein zu gelangen.


„Es gibt ein indisches Sprichwort, das besagt, dass jeder Mensch ein Haus mit vier Zimmern ist – einem physischen, einem mentalen, einem emotionalen und einem spirituellen.

Die meisten von uns neigen dazu, die meiste Zeit in einem Raum zu leben, aber wenn wir nicht jeden Tag in jeden Raum gehen, und sei es nur, um ihn zu lüften, sind wir keine vollständige Person.“

– Rumer Godden

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